Interview mit Dr. Michel de Araujo Kurth: Was tun bei Kündigung eines Bausparvertrags durch die Bank?
Ein Bausparvertrag gilt für viele Menschen als sichere und planbare Form der Geldanlage. Er soll helfen, Eigenkapital aufzubauen, günstige Kreditzinsen zu sichern und langfristig den Traum vom Eigenheim zu verwirklichen. Doch immer häufiger berichten Verbraucher davon, dass ihre Banken langjährig bestehende Verträge plötzlich kündigen oft mit dem Hinweis auf „Zuteilungsreife“ oder wirtschaftliche Gründe. Für viele Betroffene ist das ein Schock: Sie verlieren nicht nur die gewohnte Sparform, sondern sehen sich mit komplizierten rechtlichen Fragen konfrontiert.
Wann ist eine Kündigung überhaupt zulässig? Welche Rechte haben Kunden, und wann lohnt sich ein Widerspruch? Antworten darauf sind nicht immer einfach denn die Rechtslage hängt stark vom Einzelfall und der jeweiligen Vertragsgestaltung ab. Umso wichtiger ist kompetente rechtliche Beratung durch spezialisierte Fachanwälte.
Ein Experte auf diesem Gebiet ist Dr. Araujo Kurth, Anwalt für Bankrecht. Der erfahrene Rechtsanwalt berät bundesweit Mandanten bei Streitfällen rund um Bausparverträge, Kreditkündigungen und Kapitalanlagen. Mit seiner Kanzlei in Berlin hat sich Dr. Michel de Araujo Kurth auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert und begleitet sowohl private Anleger als auch institutionelle Mandanten.
Im Gespräch mit mueritzportal.de erklärt Dr. Araujo Kurth, worauf Verbraucher bei einer Kündigung ihres Bausparvertrags achten sollten, wie sie auf entsprechende Schreiben der Bank reagieren können und welche juristischen Möglichkeiten ihnen offenstehen.
mueritzportal.de: Herr Dr. Araujo Kurth, immer mehr Verbraucher erhalten Kündigungsschreiben zu ihren Bausparverträgen. Worin liegen die häufigsten Gründe für solche Kündigungen?
Dr. Michel de Araujo Kurth: Die Motivation der Banken ist hier meist wirtschaftlicher Natur. Wir sehen vor allem drei Hauptgründe:
Erstens, die Zuteilungsreife des Vertrages. Wenn ein Bausparvertrag die vereinbarte Sparsumme erreicht und zuteilungsreif ist, hat die Bausparkasse ihr Geschäft erfüllt. Sie möchte dann die zu diesem Zeitpunkt oft teuren Altzinsen nicht länger bedienen.
Zweitens, die Unrentabilität alter Verträge. Viele dieser Verträge wurden in Zeiten höherer Zinsen abgeschlossen und garantieren den Sparern heute noch attraktive Zinskonditionen, die weit über dem aktuellen Marktniveau liegen. Für die Bausparkassen stellen diese Altverträge eine finanzielle Belastung dar, da sie langfristig hohe Zinsen zahlen müssen, während sie das gesparte Geld ihrerseits nur zu niedrigeren Zinsen anlegen können.
Drittens, Management des Bauspar-Kollektivs. Bausparkassen müssen ein Gleichgewicht zwischen Sparen und Darlehensvergabe halten. Zu viele hochverzinsliche Altverträge können dieses Gleichgewicht stören.
mueritzportal.de: Viele Betroffene sind unsicher, ob die Kündigung rechtmäßig ist. Wann darf eine Bank einen Bausparvertrag tatsächlich kündigen?
Dr. Michel de Araujo Kurth: Das ist die Kernfrage, und hier ist die Rechtslage nicht immer eindeutig. Grundsätzlich darf eine Bausparkasse einen Bausparvertrag in folgenden Fällen kündigen:
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Nach vollständiger Ansparung und Zuteilungsreife: Gemäß § 15 Absatz 2 des Bausparkassengesetzes (BauspG) kann die Bausparkasse einen Bausparvertrag kündigen, wenn dieser seit zehn Jahren zuteilungsreif ist und der Bausparer das Darlehen nicht abgerufen hat. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Regelung als rechtmäßig anerkannt.
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Bei Inanspruchnahme des Darlehens: Sobald das Bauspardarlehen vollständig abgerufen und getilgt ist, endet der Vertrag und kann von der Bank gekündigt werden.
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Bei wichtigem Grund: Ähnlich wie bei anderen Verträgen kann eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB erfolgen. Solche Gründe sind jedoch streng zu prüfen und selten.
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Bei schwerwiegenden Vertragsverstößen des Bausparers: Zum Beispiel bei Betrug oder erheblichen Pflichtverletzungen.
Nicht zulässig sind Kündigungen in der Regel, wenn der Vertrag noch nicht die volle Ansparsumme erreicht hat oder noch keine zehn Jahre nach Zuteilungsreife vergangen sind, nur weil die hohen Zinsen für die Bank unrentabel sind. Viele der von Bausparkassen in den letzten Jahren ausgesprochenen Kündigungen, insbesondere solcher noch nicht voll ansparten Verträge, wurden von den Gerichten als unwirksam erklärt, da sie keinen ausreichenden Rechtsgrund hatten oder die Kündigungsklauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) unwirksam waren.
mueritzportal.de: Welche ersten Schritte empfehlen Sie Verbrauchern, wenn sie ein solches Kündigungsschreiben erhalten?
Dr. Michel de Araujo Kurth: Das Wichtigste ist, nicht in Panik zu geraten und nicht vorschnell zu handeln. Nehmen Sie das Kündigungsschreiben und Ihren ursprünglichen Bausparvertrag sowie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) genau unter die Lupe. Achten Sie auf die Begründung der Kündigung und die darin genannten Fristen. Unterschreiben Sie keine Aufhebungsverträge oder ähnliche Dokumente, ohne diese vorher anwaltlich prüfen zu lassen. Sofern die Kündigung nicht offensichtlich rechtmäßig ist (z.B. zehn Jahre nach Zuteilungsreife), sollten Sie der Kündigung schriftlich und fristgerecht widersprechen. Dies können Sie zunächst selbst tun, um Fristen zu wahren. Suchen Sie umgehend einen auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisierten Anwalt auf. Die Rechtslage ist komplex und hängt stark vom jeweiligen Vertrag und den Umständen ab. Eine individuelle anwaltliche Prüfung ist unerlässlich, um Ihre Rechte zu wahren und die Erfolgsaussichten zu bewerten. Auch die Verbraucherzentralen bieten eine erste Orientierung und Beratung an.
mueritzportal.de: Oft geht es um Verträge, die schon seit Jahrzehnten bestehen. Welche Rolle spielt die Vertragsdauer bei der rechtlichen Bewertung?
Dr. Michel de Araujo Kurth: Die Vertragsdauer spielt eine erhebliche Rolle. Bei Verträgen, die schon Jahrzehnte laufen, haben wir es oft mit sogenannten "Alttarifen" zu tun, die für den Sparer sehr vorteilhafte Zinskonditionen bieten. Genau diese Verträge sind es, die die Bausparkassen aus wirtschaftlichen Gründen gerne loswerden möchten.
Für die rechtliche Bewertung ist wichtig, dass bei langjährig bestehenden Verträgen der Vertrauensschutz des Bausparers eine größere Rolle spielt. Der Bausparer hat über einen langen Zeitraum eingezahlt und sich auf die Konditionen verlassen. Eine plötzliche Kündigung, die lediglich der Bank zugutekommt, kann im Einzelfall als Verstoß gegen Treu und Glauben gewertet werden, selbst wenn eine Kündigungsklausel in den AGB existiert. Die Gerichte prüfen in solchen Fällen sehr genau, ob die Kündigung auch unter Berücksichtigung der Interessen des Bausparers gerechtfertigt ist. Der BGH hat in jüngster Vergangenheit tendenziell eher zugunsten der Bausparkassen entschieden, wenn die Zehn-Jahres-Frist nach Zuteilungsreife abgelaufen war. Bei Verträgen, die noch nicht zuteilungsreif sind oder diese Frist noch nicht erfüllt haben, sind die Chancen für den Bausparer, sich erfolgreich zu wehren, in der Regel deutlich besser.
mueritzportal.de: Viele Kunden möchten ihren Bausparvertrag fortführen. Welche Chancen bestehen, sich erfolgreich gegen eine Kündigung zu wehren?
Dr. Michel de Araujo Kurth: Die Chancen sind, wie gesagt, stark vom Einzelfall abhängig, aber keineswegs aussichtslos. Wir prüfen, ob die von der Bausparkasse angeführten Gründe tatsächlich eine Kündigung rechtfertigen. Insbesondere bei Kündigungen vor Erreichen der Zuteilungsreife oder vor Ablauf der 10-Jahres-Frist nach Zuteilungsreife gibt es oft gute Ansatzpunkte. Viele AGB-Klauseln, auf die sich Bausparkassen berufen, können sich bei genauer Prüfung als unwirksam erweisen, weil sie zum Beispiel zu intransparent sind oder den Bausparer unangemessen benachteiligen. Bei sehr alten Verträgen kann argumentiert werden, dass die Kündigung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Auch wenn eine gerichtliche Auseinandung vermieden werden soll, lässt sich oft im Rahmen von Verhandlungen eine für den Kunden akzeptable Lösung finden, zum Beispiel eine Fortführung des Vertrages zu leicht angepassten Konditionen oder eine Entschädigung. Wenn alle außergerichtlichen Wege ausgeschöpft sind, kann eine Klage vor Gericht die einzige Möglichkeit sein. Hier haben Bausparer in der Vergangenheit bereits erfolgreich gegen unwirksame Kündigungen geklagt.
Es ist entscheidend, sich frühzeitig anwaltlich beraten zu lassen, um die individuellen Chancen realistisch einschätzen und die passende Strategie entwickeln zu können.
mueritzportal.de: Welche allgemeinen Tipps geben Sie Verbrauchern, um sich künftig besser vor ungewollten Vertragskündigungen zu schützen?
Dr. Michel de Araujo Kurth: Prävention ist hier das A und O, auch wenn ein vollständiger Schutz bei langfristigen Verträgen schwierig ist. esen Sie die AGB und den Vertragstext vor Abschluss genau durch. Achten Sie auf Kündigungsklauseln und fragen Sie nach, wenn etwas unklar ist. Behalten Sie den Überblick über den Ansparstand und wann Ihr Vertrag voraussichtlich zuteilungsreif wird. Das hilft, die Bank nicht in eine Position zu bringen, in der sie ein Kündigungsrecht nach § 15 Abs. 2 BauspG nutzen kann. Nehmen Sie alle paar Jahre Kontakt mit Ihrer Bausparkasse auf und erfragen Sie den aktuellen Stand und eventuelle Änderungen in der Praxis. Bewahren Sie alle Vertragsunterlagen, Kontoauszüge und Korrespondenz sorgfältig auf. Jedes Schriftstück kann im Streitfall wichtig sein. Setzen Sie nicht alles auf eine Karte. Verteilen Sie Ihre Anlagen auf verschiedene Produkte und Anbieter, um das Risiko von ungewollten Vertragskündigungen bei einem einzelnen Produkt zu minimieren. Wenn Sie ein Kündigungsschreiben erhalten oder auch nur ein ungutes Gefühl haben, suchen Sie lieber frühzeitig rechtlichen Rat, bevor Fristen verstreichen oder irreversible Entscheidungen getroffen werden.
mueritzportal.de: Herr Dr. Araujo Kurth, vielen Dank für das Gespräch und Ihre aufschlussreichen Einschätzungen. Ihre Hinweise zeigen, wie wichtig rechtliche Expertise ist, um Verbraucherinteressen im Bank- und Kapitalmarktrecht wirksam zu vertreten.