
Der 20. September 1973 war ein besonderes Datum: An diesem Tag trafen sich die Ministerpräsidenten der Länder mit Bundeskanzler Willy Brandt im Kabinettsaal des Palais Schaumburg in Bonn und beschlossen die bundeseinheitliche Einführung der Notfallnummern 110/112. Ein vier Jahre währender Kampf des Ehepaars Ute und Siegfried Steiger fand dadurch seinen Abschluss.
Am 20. September 2023 jährt sich die bundesweite Einführung der Notfallnummern 110/112 zum 50. Mal. Dieses wichtige Ereignis feiert die 1969 durch Ute und Siegfried Steiger gegründete Stiftung gemeinsam mit dem Bundesministerium für Verkehr und Digitales an dem Jahrestag mit einer Jubiläumsgala im Museum für Kommunikation in Berlin. Im Rahmen der Gala werden zudem die fünf Preisträgerinnen und Preisträger des Journalismuspreises 2023 der Björn Steiger Stiftung für ihre herausragenden Beiträge im Rettungswesen ausgezeichnet.
Vorangetrieben wurde die Einrichtung der lebensrettenden Notrufnummern 110/112 durch die Stiftungsgründer Ute und Siegfried Steiger. Ihr damals achtjähriger Sohn Björn kam nach einem Verkehrsunfall ums Leben, weil der Rettungsdienst erst nach fast einer Stunde eintraf - zu spät für den Jungen, der nicht an seinen Verletzungen, sondern an einem vermeidbaren Schock starb. Für das Ehepaar Steiger war damals klar: Im deutschen Rettungswesen muss sich grundsätzlich etwas ändern.
Vier Jahre währender dauerhafter Einsatz
Zwischen 1969 und 1973 formuliert Ute Steiger auf einer Schreibmaschine mehr als 6.000 Briefe an Entscheidungsträger, Siegfried Steiger spricht zahlreiche Politiker an und verklagt schließlich sogar das Land Baden-Württemberg und die Bundesrepublik Deutschland wegen der Nichtumsetzung einer bundeseinheitlichen Notrufnummer auf vorsätzliche unterlassene Hilfeleistung. Das hierauf folgende mediale Interesse setzt die politischen Entscheidungsträger so unter Druck, dass die Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Willy Brandt am Abend des 20. September 1973 schließlich die Einführung der von den Steigers geforderten bundesweiten Notrufnummern 110/112 beschließt.
Für das Ehepaar Steiger markierte diese Entscheidung einen wichtigen Etappensieg auf dem Weg zu einem besseren und effektiveren Rettungswesen in Deutschland. Denn unverändert gab es Anfang der 70er Jahre noch zahlreiche Ansatzpunkte für grundlegende Verbesserungen, welche die Stiftung in den Folgejahren konsequent angeht: Sprechfunk in den Krankenwagen, Ausbildung der Rettungssanitäter, Aufbau und Finanzierung der ersten zivilen Luftrettungsorganisation in Deutschland, Notruftelefone an den deutschen Straßen, etc.. Die Liste der Aktivitäten ließe sich noch lange weiter fortsetzen.
Das Engagement zugunsten des Notfallpatienten geht unverändert weiter
Nach wie vor steht das deutsche Rettungswesen nach Ansicht der Stiftung auch heute noch vor großen Herausforderungen. Daher begrüßt die Stiftung die am 7. September 2023 vorgelegte neunte Stellungnahme der Regierungskommission zur Reform der Rettungsdienste als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung und betont, dass nun auch eine zeitnahe Umsetzung erfolgen muss.
Bereits seit Mai 2023 läuft die bundesweite Kampagne der Björn Steiger Stiftung "Rettet-die-Retter" mit der gleichnamigen Webseite. Die Aktion legt den Fokus insbesondere auf die Arbeit der Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitäter, die in ihrer herausragend wichtigen Arbeit tagtäglich auch Defizite erleben.
Aktuelle Initiativen widmen sich insbesondere dem Kampf gegen den Herztod, der Breitenausbildung in Wiederbelebung, der Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen für den Notfall und dem Frühgeborenen-Transport und vor allem der Optimierung des Rettungsdienstes.

„Der Rettungsdienst braucht eine Rettung“, ist sich Prof. Karl Lauterbach sicher. „Unser Rettungsdienst braucht dringend eine Reform und klare Strukturen: einheitliche Standards, mehr Befugnisse, eine sinnvolle Vergütungssystematik. Deshalb ist es wichtig, dass die Regierungskommission dazu jetzt Empfehlungen vorgelegt hat. Diese Überlegungen werden wir in unsere Reformpläne einfließen lassen, wie wir das auch in anderen Reformfeldern tun. Im Notfall muss der Rettungsdienst schnell und zielgenau helfen. Die Notfallversorgung darf nicht weiter selbst ein Reformnotfall bleiben“, so der Bundesgesundheitsminister.
Hier soll der Rettungsdienst in Deutschland einer Reform unterzogen werden. Der konkrete Leistungsanspruch soll in einer eigenständigen Norm im Sozialgesetzbuch V (SGB V) geregelt werden. Berücksichtigt werden sollen dabei die Leistung der Leitstelle, die Notfallversorgung vor Ort, der Notfalltransport um komplementäre Notfallversorgungsnagebote, wie z.B. pflegerische Notfallversorgung oder psychiatrisch-psychosoziale Krisenintervention. Mit mehr Transparenz und bessere Qualitätssicherung sollen einheitliche Qualitätsstandards entwickelt werden. Dazu gehören nach Ansicht des Gesundheitsministeriums die Anforderungen an Struktur-, Prozess- und soweit möglich Ergebnisqualität sowie die Qualifikation des eingesetzten Personals in Leitstellen und der Notfallrettung. Dies soll länderübergreifend vereinheitlicht werden. Anzustreben ist die Etablierung eines Notfallversorgungsregisters mit Kerndaten zu KV-Notdienst, Rettungsdienst, Notaufnahmen, Notfallzentren. Die Bundesländer sollen die Koordinierung des Rettungsdienstes straffen. Richtwert ist dafür eine Leitstelle pro circa eine Millionen Einwohner. In Mecklenburg-Vorpommern werden Feuerwehr-, Rettungsdienst- und Krankentransporteinsätze durch sechs integrierte Leitstellen disponiert.
Nach Planung des Bundesgesundheitsministeriums sollen die Befugnisse von Notfallsanitäterinnen und -sanitätern ausgeweitet werden. Besonders qualifizierte Notfallsanitäterinnen und -sanitäter sollen mit eigener fachgebundener Heilkundebefugnis („advanced paramedic practitioner“, Bachelor/Master-Niveau) den jetzigen Notarztdienst substituieren und die ärztlichen Spezialressourcen nur bei Bedarf anfordern müssen. Notärzte sollen dann nur in besonders komplexen Fällen eingesetzt werden. Krankenkassen sollen die Leistungen der Leitstelle, die Notfallversorgung vor Ort, den Notfalltransport sowie zusätzliche Dienste (wie die pflegerische Notfallversorgung) vergüten. Die Vergütung des Rettungsdienstes sollte sich aus Vorhalte- und Leistungsanteil zusammensetzen. Neben bundesweit geltenden Entgelten sollten regionale Anpassungsfaktoren vereinbart werden.