Die Malchowerin Jessica Dahnke hat im letzten Jahr eine Ausbildung in der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) absolviert. In diesem Frühjahr bewährte sich die 36-jährige bei ihren ersten Einsätzen. Mitarbeiter der Psychosozialen Notfallversorgung sind ehrenamtlich tätig und können zu jedem Zeitpunkt gerufen werden. „Mich treibt an, dass ich die Menschen, die zum Beispiel nach einem Unfall mit ihrem Kummer leben müssen, in den ersten Stunden nicht allein lassen will“, sagt Jessica Dahnke, die sich auch bei der Freiwilligen Feuerwehr Göhren-Lebbin engagiert.
Es ist ausnahmsweise mal ruhig in der Tourist-Information Göhren-Lebbin– die Saison fängt gerade erst an. Jessica Dahnke ordnet Prospekte, legt Kurkarten bereit, erklärt einem Radwanderer den Weg zu seiner Unterkunft. Die 36-jährige Kauffrau für Tourismus und Freizeit, die in Malchow lebt, arbeitet seit Juni 2022 bei der Tourist-Information, die zur Kur- und Tourismus GmbH Göhren-Lebbin gehört, einem Tochterunternehmen der Gemeinde. Die Tätigkeit macht ihr großen Spaß. Dennoch ist sie bereit, von einem Moment zum nächsten alles stehen und liegen zu lassen, um zu einem Einsatz als Psychosoziale Notfallversorgerin (PSNV) zu fahren. „Man muss jederzeit einsatzbereit sein. Falls der Einsatz in der Arbeitszeit kommt, stellt mein Arbeitgeber mich entgegenkommenderweise frei“, berichtet Jessica Dahnke. Den Einstieg in dieses wichtige ehrenamtliche Engagement fand sie über ein anderes großes Hobby, das bei der Freiwilligen Feuerwehr Göhren-Lebbin. „Ich habe mich bei den Einsätzen immer gefragt: Was wird eigentlich aus den Leuten, die nach einem Unfall oder einem Suizid mit ihrem Kummer leben müssen? Für diese wollte ich zumindest in den ersten Stunden nach dem schlimmen Ereignis helfend zur Seite stehen. Ich habe mich dann zur Arbeit der Psychosozialen Notfallversorger informiert und in Absprache mit unserem Wehrführer im Herbst 2022 eine Ausbildung dazu an der Landesschule für Brand- und Katastrophenschutz Mecklenburg-Vorpommern in Malchow absolviert.“ Wehrführer Marco Michaelis nickt. „Es gibt bei weitem nicht genug Leute, die das machen, weil die Tätigkeit zu wenig bekannt ist“, sagt er. In zwei Blöcken vom September bis zum November 2022 lernte Jessica Dahnke in dem Kurs die Grundlagen ihrer wichtigen Tätigkeit – vom Umgang mit Stress und der richtigen Gesprächsführung über psychologisches und psychiatrisches Basiswissen bis zu Trauer, Sterben und Tod und den Umgang mit der Presse im Einsatz. Am Ende wurden die vierzehn Teilnehmer aus ganz Mecklenburg-Vorpommern von den Dozenten eingeschätzt. „Wer psychisch eher labil ist, dem raten sie in der Regel davon ab, als Psychosozialer Notfallversorger zu arbeiten. Man sollte schon eine gefestigte Persönlichkeit haben“, kommentiert Jessica Dahnke, die als einzige aus dem Teilnehmerkreis zum Team Müritz gehörte. Dieses wird von insgesamt acht Ehrenamtlichen gebildet und vom Pfarrer im Ruhestand Karl-Martin Schabow geleitet. Sie beschreibt den Ablauf der Einsätze: „Wer immer uns braucht - Feuerwehr, Polizei oder Rettungsdienst - meldet den Bedarf bei seiner Leitstelle. Dann werden wir über unsere Koordinationsstelle bei der Johanniter-Unfall-Hilfe angefordert.“
Im März wurde es für Jessica Dahnke das erste Mal ernst: Sie wurde mit einem Kollegen zu einer Familie in einer Notsituation gerufen. „Meinen Kollegen dort mit seiner Erfahrung und seiner ruhigen Art zu erleben, wie er die betroffenen Angehörigen beruhigte und ihnen zusprach, war eine gute Lehrstunde für mich“, erzählt die junge Frau. Zum zweiten Einsatz wenige Zeit später wurde sie eigentlich als Feuerwehrfrau alarmiert, konnte aber zum ersten Mal zeigen, was sie als Notfallseelsorgerin gelernt hatte. „Ein älterer Mann, dessen Frau am Tag zuvor gestorben war, saß orientierungslos in seiner Wohnung. Wir waren gerufen worden, weil er zunächst die Tür nicht geöffnet hatte.“ Das Ehepaar war 60 Jahre zusammen gewesen und die Frau hatte sich um alle praktischen Dinge im Haushalt gekümmert. Ohne sie war der Mann zunächst einmal völlig hilflos. Jessica Dahnke half ihm, in der Wohnung die wichtigsten Unterlagen zu suchen, sorgte dafür, dass die beiden Katzen ins Tierheim gebracht wurden, und empfahl weitere Anlaufstellen: war einfach für den Mann und seine persönlichen Bedürfnisse da. „Auch wenn wir uns an bestimmte Abläufe halten müssen, ist doch jeder Einsatz anders, weil jeder Mensch individuell reagiert“, sagt Jessica Dahnke. Zum vorgeschriebenen Prozedere gehört im Übrigen auch, dass jeder Notfallversorger nach dem Einsatz einen Abschlussbericht verfassen muss. „Das hilft uns, das Geschehene einzuordnen und damit abzuschließen.“ Die Dozenten in der Ausbildung ermuntern die Ehrenamtlichen zudem, ihr eigenes Ritual zur Nachbereitung der Einsätze zu entwickeln: ein Gespräch mit dem Partner, eine lange Dusche oder Sport... Als Kraftsportlerin hat sich Jessica Dahnke vor allem für die Option entschieden, den Stress abzutrainieren. Für manche Kollegen oder Kolleginnen kann es auch ein symbolischer Abschluss sein, die violette Weste abzulegen, die ihn oder sie als Notfallversorger ausweist, oder den Rucksack abzunehmen, in dem zum Beispiel Informationsflyer, kleine Bücher für Kinder, eine Decke oder Taschentücher sind – alles Dinge, die man beim Einsatz brauchen kann.
Wehrführer Marco Michaelis ist sehr dankbar dafür, dass seine Kollegin die Zusatzausbildung absolviert hat. „Wir Feuerwehrleute sind normalerweise nicht dafür geschult, mit Leuten in solchen Ausnahmesituationen zu reden. Die Notfallversorger nehmen uns daher auch viel Arbeit ab.“ Um noch mehr Menschen für diese wichtige Tätigkeit zu begeistern, plant Jessica Dahnke, sich für einen weiteren Kurs einzuschreiben, wenn sie einige Monate Erfahrung als Notfallversorgerin gesammelt hat und das Gelernte weitergeben kann. „Das ist der Kurs PSNV-E. E steht für die Einsatzkräfte, die man schult, damit sie sich in bestimmten Krisensituationen bewähren – zum Beispiel, wenn man es mit deformierten Toten zu tun hat“, erläutert die Malchowerin.