Die „Müritzer Schreibfedern“ bringen nun mittlerweile seit rund zwei Jahren regelmäßig ihre Gedanken zu Papier. Die Gruppe um Dagmar Mayer möchte aber nicht nur drauflos schreiben, sondern nach und nach das Handwerkszeug erlernen, um literarisch anspruchsvolle Texte zu kreieren. Deshalb hatte sie den Literaturdozenten Günter Giesler aus Dresden eingeladen, der mit ihnen am 24. und 25. November 2023 das Schreiben von Kurzgeschichten trainierte.
Iris Ruß springt als erste in das sprichwörtliche kalte Wasser. Mit klarer Stimme und gut betont liest sie dem Kreis der anderen „Schreibfedern“ und dem Dozenten Günter Gießler ihre Kurzgeschichte vor. Den Text hat sie eben erst beendet. Iris Ruß berichtet darin, wie sie zu DDR-Zeiten Fahrstunden am LKW erlebt hat. Sie schließt mit dem lakonischen Satz: „LKW bin ich danach nie wieder gefahren, aber viele, viele Jahre PKW.“ Die anderen „Federn“ applaudieren der Mutigen. Günter Gießler hat sich Notizen gemacht. Er lobt nach der Lesung, was Iris Ruß gut gemacht hat, und weist sie darauf hin, wo sie ihre Geschichte noch verbessern könnte.
Diese Episode zeigt, nach welchem Prinzip die Weiterbildung der „Müritzer Schreibfedern“ am 24. und 25. November im Warener „Schmetterlingshaus“ aufgebaut ist: Die Frauen und der Mann, die zu dem Literaturzirkel um Dagmar Mayer gehören, schreiben eigene Kurzgeschichten, stellen sie der Runde vor und stellen sich der Kritik Günter Gießlers und der anderen Kreativen. Vor dem Schaffensprozess hatte der Dresdner Literaturdozent einen rund dreiviertelstündigen Einstiegsvortrag zum Thema gehalten. „Ich habe dafür die Kurzgeschichte „Nachts schlafen die Ratten doch“ ausgewählt, die Wolfgang Borchert 1947 schrieb. Es geht darum um den Krieg und seine Folgen“, berichtet Günter Gießler. Auch wenn sich in diesen Zeiten vielleicht einige ein weniger ernstes Thema gewünscht hätten, hat er sich für dieses Werk entschieden, weil es „beispielhaft die kreativen Gesetzmäßigkeiten der Kurzgeschichte zeigt.“ Für die Arbeit an den eigenen Geschichten stellt er den fünfzehn Laienautoren frei, ob sie ein eigenes Thema wählen oder eines aus der Box ziehen wollen, die er vorbereitet hat. Die meisten entscheiden sich für Letzteres. „Das kommt mir spanisch vor“, „Aus dem Nähkästchen“, „Da liegt der Hund begraben“, „Ereignis“ - das sind nur einige der Themen, an denen die „Schreibfedern“ am Nachmittag des 24., am Vormittag des 25. und bei Bedarf auch zu Hause werkeln und feilen. Zwischen einer Seite und zwanzig Seiten darf die Geschichte lang sein. Bei den meisten läuft es auf ein bis zwei handbeschriebene Blätter hinaus. „Das Ziel ist, dass jeder von uns weiß, was eine Kurzgeschichte ist und welche Merkmale sie hat, und dass er dieses Wissen auch anwenden kann“, sagen mehrere der „Federn“, die ihre Geschichten bereits beendet haben und nun auf das Vorlesen warten.
Der promovierte Literaturdozent Günter Giesler vermittelt schon zum zweiten Mal der gesamten Runde der „Schreibfedern“ schreiberisches Handwerkszeug. Im letzten Jahr hat er sie bereits im „Roten Haus“ zu den allgemeinen Grundlagen des kreativen Schreibens unterwiesen. „Für dieses Jahr haben wir uns etwas Spezielleres gewünscht“, sagt Dagmar Mayer, die den Dozenten schon länger kennt und mit einigen ihrer „Federn“ bereits einen Kurs Gießlers im thüringischen Donndorf besucht hat. „Ich finde es bewundernswert, was Dagmar in der relativ kurzen Zeit seit 2021 hier in Waren aufgebaut hat“, lobt der Dozent. Vom inhaltlichen Potential der Mitglieder des Zirkels ist er beeindruckt: „Einige tragen, biografisch gesehen, unglaublich wertvolle Geschichten in sich.“ Wenn die handwerkliche Umsetzung ausbaufähig ist, gibt er individuelle Anregungen. „Bei einigen sehe ich noch zu viele Klischees in den Texten. Andere beschreiben eine Situation umständlich, wo man sie mit wenigen Wörtern dem Leser zeigen könnte“, benennt er zwei Hauptprobleme. Da die meisten „Schreibfedern“ ja früher oder später den Schritt vom Biografischen zum Fiktiven gehen wollen, würden die Texte literarisch gewinnen, wenn sie an diesen kleinen Mängeln noch arbeiten würden. Günter Gießler ist mit seinen Schützlingen aber bis jetzt sehr zufrieden: „Ich freue mich, dass sie sich schreiberisch entwickeln möchten, und ich freue mich darauf, die anderen Kurzgeschichten zu hören.“