
Ulrich Lange arbeitet als Nachtpädagoge in der Beruflichen Schule zur Integration schulpflichtiger Jugendlicher am Rande Malchows: Der 66-jährige kümmert sich darum, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die im schuleigenen Internat übernachten, eine geregelte Nachtruhe einhalten. Von 23 Uhr bis 7.30 Uhr früh ist er außerhalb seiner Rundgänge in seinem Büro anzutreffen und hat ein offenes Ohr für alles, was seine „Kinder“ ihm berichten möchten.
Jeden Sonntag gegen 23 Uhr beginnt für Ulrich Lange eine neue Dienstwoche in dem imposanten Gebäude an der Teterower Chaussee am Rande Malchows, das 1916 als Wirtschaftliche Frauenschule gegründet wurde und heute das Internat einer beruflichen Schule beherbergt. „Unsere Internatsschüler kommen am Sonntagabend von ihren Wohnorten aus ganz Mecklenburg-Vorpommern zurück, weil am Montagfrüh ihre Schulwoche anfängt. Das heißt für mich, dass ich die kommenden fünf Nächte wieder dafür sorgen werde, dass sie eine geregelte Nachtruhe einhalten“, berichtet der 66-jährige, der wenige Autominuten von der Schule entfernt in Nossentiner Hütte wohnt. 22 Uhr beginnt die Nachtruhe für die etwa zehn Prozent der Mädchen und Jungen, die noch nicht volljährig sind. Eine Stunde später sind auch die dran, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. „Obwohl beide Gruppen zimmerweise getrennt wohnen, muss ich die Älteren manchmal ermahnen, Rücksicht auf diejenigen zu nehmen, die eher ins Bett müssen, und bei Konflikten vermitteln“, erzählt Ulrich Lange, dessen Tätigkeit auf der Homepage der Schule als Nachtpädagoge oder Nachterzieher bezeichnet wird. Seit über zehn Jahren begleitet er die Internatsschüler durch die Nacht und folgt dabei einer stets ähnlichen Routine: macht regelmäßige Rundgänge, je nach Lautstärke, und schaut, ob alles in Ordnung ist. Den Rest der Zeit verbringt er in seinem Büro im Erdgeschoss, erledigt Büroaufgaben, arbeitet an der Schulchronik, liest viel. Schlafen darf er natürlich nicht. Seine Tür steht auch nachts für die Jugendlichen offen: Denn oft kommen einige seiner Schützlinge zu ihm und wollen ihm etwas berichten, was sie bewegt und nicht schlafen lässt – Ereignisse in der Familie, Probleme mit Freunden oder im Zusammenleben im Internat bis hin zu sexuellen Erlebnissen. „Die Jugendlichen erzählen sehr viel und brauchen jemanden, der einfach nur zuhört. Oft wollen sie gar keine Ratschläge, sondern nur ein offenes Ohr. Ich bin für sie eine Art Seelsorger“, sagt Ulrich Lange und lächelt.

Seit 2012 arbeitet der gebürtige Malchower als Nachtpädagoge an der Beruflichen Schule zur Integration schulpflichtiger Jugendlicher, einer staatlich anerkannten Ersatzschule, die zur Trägerinstitution Private Fachschule für Wirtschaft und Soziales gGmbH in Erfurt gehört und für die die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Schulgeld bezahlen müssen. Dabei hatte Ulrich Lange ursprünglich einen völlig anderen Beruf: „Ich bin eigentlich Diplomingenieur für Landtechnik und war lange als Bauleiter eingesetzt. Nach langen Jahren in dieser Tätigkeit war ich das ständige Herumreisen und den Stress leid. Als die Schule einen Nachfolger für den damaligen Nachtpädagogen suchte, habe ich zugesagt, zumal ich meinen Vorgänger bereits vertreten hatte.“ Er schätzt nun den familiären Zusammenhalt an der mit etwas über 100 Schülern und je einem knappen Dutzend Lehrkräften und technischen Kräften eher übersichtlichen Einrichtung. Die Jugendlichen lernen derzeit in jeweils zwei Klassen im ersten, zwei Klassen im zweiten und einer Klasse im dritten Lehrjahr überbetrieblich den Beruf des Kinderpflegers oder der Kinderpflegerin. Auch einige sogenannte „Fahrschüler“, die täglich nach Hause fahren, sind darunter. Die Schülerschaft ist nach wie vor überwiegend weiblich, aber die Jungen sind in der Zeit, in der Ulrich Lange hier arbeitet, mehr geworden und machen jetzt etwa ein Viertel aus. Die Berufsreife ist Mindestvoraussetzung, um die Ausbildung beginnen zu können. Unter den Schülern sind aber stets auch einige Realschüler und einige wenige Abiturienten sowie Seiteneinsteiger, die teils schon die Dreißig erreicht haben und auf einen neuen Beruf umschulen möchten. Kinderpfleger sind in Krippen, Kindergärten und anderen Kindereinrichtungen beschäftigt und arbeiten oft Erziehern zu. Hat man den Abschluss in der Tasche, kann man auf dieser Basis auch noch die Ausbildung zum Erzieher oder in einem anderen pädagogischen Beruf anschließen. „Unsere Schüler sind recht gefragt, wenn sie fertig sind, und finden größtenteils schnell einen Job“, sagt Ulrich Lange.
Befragt dazu, was einen guten Nachtpädagogen ausmacht, muss der 66-jährige nicht lange überlegen. „Man sollte gut zuhören können, wie ich ja schon geschildert habe, diplomatisch sein, aber auch Konsequenz zeigen können. Bei Fehlverhalten der Schüler haben wir verschiedene Sanktionsmöglichkeiten, die wir mit Augenmaß einsetzen.“ Bei Rauchen im Objekt beispielsweise ist Ulrich Lange unnachgiebig, bleibt jemand gerne länger auf, stört dabei aber niemanden, drückt er schon mal ein Auge zu. Apropos Aufbleiben: Er selbst muss ja nun seit vielen Jahren fünf Nächte in der Woche durchgängig wach bleiben. Wie schafft er das? „Wenn man einmal den Rhythmus drin hat, geht es. Doch man muss sich wirklich zwingen, tagsüber zu schlafen, auch wenn es schwerfällt und vielleicht die Sonne draußen lacht. Sonst hält man nicht durch.“